Sorry ist etwas länger geworden. Wollte meinen Senf aber auch dazu geben...
Zu Talent oder Übungssportart:
Wie im Link vom Anfangspost zu lesen, ist das 10.000 Stunden Modell ja nicht ganz unkritisiert. Auch das wichtige Thema der richtigen und variantenreichen Trainingsansätze findet sich in dem Artikel. Man sieht bei vielen Weltklassesportlern eine deutlich höhere und schnellere Lernkurve. Allerdings ist auch das Gegenteil der Fall. Es wird von einer Bandbreite bis zum Erfolg zwischen 3000 und 24000 Stunden gesprochen.
Interessant ist, dass beim Darts die Leistung durch Training sogar mit geringerem Prozentsatz als bei Schach angegeben wird (Gobet/Campitellis 2007). Ich behaupte (und die genannte Quelle ist schon etwas älter), dass dieser Wert nicht dem Sport Darts zugeordnet werden muss, sondern den bislang mangelhaften Trainingsmethoden.
Es gibt im Darts tatsächlich eine Studie, die ein Bewegungsprogramm festgestellt haben will, die überwiegende Anzahl bestätigt aber genau das, was man aus allen Sportarten (mit hohem koordinativem Anteil) kennt: Der Mensch ist genau das Gegenteil einer Maschine, wir sind langsam und ungenau, und je mehr wir uns belasten (mit entsprechender Erholungsphase), umso stärker werden wir. Und motorisches Lernen passiert nicht wie in einem Computer, in den wir ein Programm schreiben, sondern aus einer Vielzahl von Erfahrungen (in sinnvollem Variationsrahmen) bildet sich nach und nach immer ein genaueres Bild heraus, das umso genauer ist, umso mehr Fehler wir erfahren haben.
Für den Mensch ist das Nicht-Belasten wie ein Turbo im Alterungsprozess. Eine Maschine ist schnell, präzise und wird nach einem gewissen Zeitraum ständiger Benutzung kaputt. Diese Ungenauigkeit macht aber auch unsere Stärke aus: Wir können mit Problemen umgehen und diese lösen. Mit der Tatsache muss man sich nun als Spieler, der den dauerhaft perfekten Wurf finden möchte, abfinden. Der perfekte Wurf ist ein Prozess, an dem man immer feilen kann, wenn man das möchte. Denn es ist immer Verbesserungspotential vorhanden – bis ins höchste Alter. Das gilt generell für den Sport: Der Mensch mit den fix schlechter werdenden Fähigkeiten ist der völlig austrainierte Spitzenathlet in seiner Disziplin – Man kann in jedem Lebensalter als Untrainierter an die Fähigkeiten von Lebenszeitsportlern anschließen.
Technik – Basis für mentale Sicherheit
Ich sehe das Erarbeiten einer „optimalen“ Technik im Darts sehr stark damit in Zusammenhang, dass wir uns unserer Wurfbewegung sicher sein wollen, dass die auch erfolgreich ist. Deshalb ist es wichtig bei der richtigen Wurfbewegung leistungsbestimmende Faktoren herauszuarbeiten, die passen sollten. Denn viele Details der Wurfbewegung werden erst dann wichtig, wenn man sie zum Problem erhebt. Denn in den Kernelementen ähneln sich die Wurfbewegungen erfolgreicher Spieler und der Profis sehr stark. Es sind die individuellen Ausprägungen, die das Bild erzeugen: Jeder muss seinen individuellen Wurf entwickeln. Meiner Meinung nach entstehen individuelle Würfe daher, weil sie sich eben in den nicht leistungsrelevanten Teilen unterscheiden. Und das ist für mich eine fehlende Säule: Wie soll ich eine mental stabile Einstellung überhaupt entwickeln, wenn ich mir nicht sicher bin, was ich da tue? Spielern fehlt die Sicherheit die Bewegung erfolgreich durchführen zu können – und allein das rechtfertig im Darts den Bedarf an Trainern.
Was Standstabilität angeht, wird ja oft Mensur Suljovic als Beispiel genannt, dass das nicht so wichtig sein kann. Ich durfte ihn einmal messen. Der Punkt ist: Er steht auch extrem ruhig, da wo es darauf ankommt. Das was sich bei ihm rundherum abspielt in seiner Bewegung, beeinflusst den Körperschwerpunkt in keinster Weise. Daher ist Mensur für mich auch ein Paradebeispiel, wie man einen stabilen Stand verstecken kann.
Rechte und linke Hand
Die Sache mit der rechten und linken Seite, die God_of_Darts angesprochen hat: Das Wechseln von der dominanten Seite auf die nicht dominante Seite, bedeutet nicht die Bewegung neu zu lernen, sondern in einem ungeübten Stadium neu einzusteigen: Waterhouse (2014) konnte durch EMG Aufnahmen nachweisen, dass egal ob mit dominantem oder nicht dominantem Arm geworfen wurde, die EMG Muster sich nicht deutlich unterschieden, und somit auf demselben motorischen Programm bzw. Verschaltung beruhen müssen. Die Unterschiede waren bei der nicht dominanten Seite im Vergleich zur dominanten Seite nur in höherer Geschwindigkeit, geringere Genauigkeit und Variabilität zu bemerken, was allein auf „Ungeübtheit“ hinweist. Das heißt, dass links von rechts und rechts von links lernt. Das ist auch ein starkes Argument den anderen Arm ins Training mit einzubeziehen.
Talent - Talentscout
Grundlegend zeigen sich ja gewisse Übereinstimmungen mit anderen Sportarten: Untersucht ist z.B. der erfolgreiche Zusammenhang zwischen dem Basketballwurf und Darts. Auffallend ist für mich auch, dass gerade Torleute aus Spiel/Ballsportarten gute Dartspieler werden (das ist aber nur mein persönlicher Eindruck). Es gibt also sicher Dinge, die dem Darts positiv in die Hände spielen. Und da sind wir wieder bei einer breiten und variantenreichen motorischen Entwicklung vor allem in Kindheit und Jugend. Aber nicht jede Variation hilft weiter, das muss definitiv in einem für Darts sinnvollem Rahmen erfolgen.
Das Talentscouting ist ein Thema, das ich persönlich sehr kritisch sehe. Einfach deshalb, weil es in der Vergangenheit immer wieder extreme Ausnahmesportler gegeben hat, die durch alle Talentesuchnetze gefallen sind, und trotzdem zur absoluten Weltklasse wurden. Da sind als Beispiel aus einer anderen Sportart dem ÖSV (Österreichischer Skiverband), der eigentlich ein extrem gutes Talentsuchsystem hat, einige grobe Schnitzer passiert.
Ich muss mich da auch selber immer wieder bei der Nase nehmen, da ich zwar bislang bei den Entwicklungen, die ich begleiten durfte, immer recht gehabt hätte, wenn ich die Beschleunigungsbilder bei den Dartwurfanalysen analysiert habe, aber trotzdem muss man da immer vorsichtig sein, ob man mit einem unbedachten: „Du hast es nicht in Dir“ vielleicht eine potentiell erfolgreiche Karriere zerstört… Daher macht es aus meiner Sicht immer Sinn, Erfolg haben zu wollen, und daran zu arbeiten, unabhängig davon, wie man einsteigt.
Denn da muss ich stellvertretend für meinen Berufsstand als Sportwissenschafter/Trainer sagen: Es wurde viel herausgefunden, aber was Prognosen angeht, ist die Wissenschaft leider immer noch sehr unpräzise, weil es eben auch im Sport viele Faktoren gibt, die sich (noch) in kein System pressen lassen. Und vielleicht klappt das auch nie.
D.h.: Man kann einem Sportler sagen, was er können sollte, aber ob und wann er es fix können wird, entzieht sich leider der Beurteilung.