Nach seiner EP "Thinking In Textures" ließ Nick Murphy alias Chet Faker die Welt zwei Jahre auf sein Debütalbum warten. Mutig möchte man meinen, schließlich löste 2011 seine Coverversion von "No Diggity" quasi über Nacht einen riesigen Webhype aus, der prinzipiell genauso schnell wieder vorbei sein könnte. Andererseits wirkte er der Gefahr, in Vergessenheit zu geraten, recht effektiv durch Kollaborationen mit dem Jungproduzenten Flume entgegen.
Überhaupt, auf seinen Anfangslorbeeren ausgeruht hat sich Chet Faker seit der EP sicher nicht. In seinem australischen Studio setzte er seinen ersten Longplayer "Built On Glass" zusammen, ohne Rücksicht auf Genre-Grenzen: Natürlich sind seine Ideen von souligem Downtempo-Electro, den Anleihen aus R'n'B, House, Singer/Songwriter und Pop ergänzen, nicht neu. Sehr zeitgenössisch ist der Ansatz aber, allein schon wenn man sich anschaut, wie viel Aufmerksamkeit SOHN oder Australiens nächstem Wunderkind Vancouver Sleep Clinic geschenkt wird. Und darüberhinaus absolut hinreißend.
Murphy baut auf Emotionen, besingt die Höhen, vor allem aber die Tiefen der Liebe, ohne dem Hörer seine Leidensgeschichten aufzudrängen. Im Gegenteil. Wenn man nach einem stressigen Tag herunterkommen möchte, kümmert sich "Built On Glass" bestens um einen.
Die zurückhaltende Eröffnung "Release Your Problems" ist programmatisch: Lass deine Probleme ruhig raus, Chet Faker groovt sich gerade erst ein und entführt dich an einen Ort, den lässige Beats, fragile Falsett-Gesänge und Loops regieren. Und sobald der Kopf frei für seine Musik ist, geht es auf Detail-Entdeckungsreise: angenehme Saxofon-Klänge verzieren "Talk Is Cheap", das im hallenden "No Advice (Airport Version)"-Zwischenspiel mündet, das wiederum die Brücke schlägt zu zwei aufgeregteren Highlights der Platte.
Für "Melt" stößt die New Yorkerin Kilo Kish, das einzige Feature, auf unruhigem Synthie-Bett dazu. Das großartige "Gold" kreist mit ansteckenden Handclaps, Bass und ein paar elektronischen Spielerein wieder komplett um Chet Fakers vielseitiges Organ. In der Ballade "To Me" überwältigt ihn sein gebrochenes Herz und man fällt mit ihm in einen emotionalen Abgrund: "When you look straight ahead and you wish you were dead now, are you giving in? You're giving in all for nothing, you're giving in all for nothing, I know". Die dramatischen Choreinsätze bewegen sich dann gefährlich nahe am Kitsch, brechen aber noch rechtzeitig aus.
Es folgt "/", ein kurzer Cut mit der Aufforderung: " Now relax some more and drift a little deeper as you listen". Überflüssig, schließlich ist man der atmosphärischen Stimmung von "Built On Glass" unlängst verfallen. Die zweite Hälfte probiert allerdings dann einen Ticken mehr aus: Die elektronische Gestaltung von "Blush" ist aufbrausender als bei allen vorhergehenden Tracks. "1998" nutzt House-Klänge, die auch aus diesem Jahr stammen könnten, während der Australier nostalgisch über die Vergänglichkeit einer Freundschaft sinniert: "We used to be friends, we used to be inner circle / I don't understand, what have I become to you".
Zum Erzähler, der auch mit relativ einfach gestrickter Gitarrenbegleitung durch einen achtminütigen Song führen kann, ohne dass man nur eine Sekunde missen möchte, verwandelt er sich in "Cigarettes & Loneliness". Den Electronic Soul tauscht er hier gegen wärmsten Indie-Pop. "Lesson In Patience" arbeitet mit umgekehrten Rezept: Im Quasi-Instrumental, wenn man vom summenden Klagen absieht, lässt Murphy den Produzenten raushängen, der mit Saxofon, Keyboard und Beats spielt. "Dead Body" lässt die Reise mit einem E-Gitarren-Solo ausklingen.
Sich mit den Songs aus seinem denkmalgeschützten Studio selbst ein Denkmal zu setzen, daran mag Chet Faker mit "Built On Glass" knapp vorbeigeschrammt sein. Als Mittzwanziger und Debütant steht er allerdings auch noch am Anfang seiner Karriere. Die Voraussetzungen dafür, dass sie lang und groß wird, hat er schon mal geschaffen. Quelle: laut.de
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