Keine Angst ich frage jetzt nicht „Wie muss ich trainieren, damit ich möglichst schnell besser werde“ oder so ähnlich. Da muss ich dem Forum hier wirklich ein Lob aussprechen, das ist in dem Thread „Dart Neuling? Welche Dinge...“ schon so ziemlich alles gut erklärt. Ich will vielmehr meine tw. recht bizarren Erfahrungen von meinem ersten Turnier berichten. Auf die zu erwartenden Probleme wie z.B. nervositätsbedingter Blackout usw. war ich schon vorbereitet.
Ich bin kein total blutiger Anfänger. Ich hab vor längerer Zeit schon ein bischen auf Automaten in Kneipen gespielt, aber immer nur gegen Kumpels und vielleicht einmal die Woche. Ich habe damals nie ernsthaft trainiert und auch noch nie im Verein oder bei Turnieren gespielt. Mit Heirat oder Umzug der meisten Kumpels hat es sich mit dem Dartsspielen dann aber erstmal für viele Jährchen erledigt. Ich bin dann aber beim Zappen im Fernsehen letztes Weihnachten bei der Darts-WM hängen geblieben, und dachte, „das könntest Du auch mal wieder machen“ und hab mir kurzerhand eine Scheibe gekauft. Wie zu erwarten hielt meine Frau nicht viel davon, und so blieb mir erstmal nichts anderes übrig, als gegen eine Handy-App zu spielen.
Das wird aber natürlich auf Dauer irgendwann langweilig. Aber wozu gibt’s heutzutage Internet, also einfach mal „Darts Verein“ gegoogelt und auch sofort fündig geworden. Und siehe da, in meinem Nachbardorf fand letztes Wochenende ein Jedermann-Turnier statt (sog. „Kratzer-Turnier “). Ok, ich dachte, schlimmer als dass ich gleich nach 3 Runden rausfliege, kann’s ja nicht werden. Immerhin ist man dann um eine Erfahrung reicher und lernt vielleicht noch ein paar Leute kennen, oder kann ein paar guten Spielern zuschauen, die nicht auf völlig unerreichbarem Niveau spielen, wie im Fernsehen. Dass ich an diesem Abend komplett an meine Belastungsgrenze kommen würde, sowohl physisch wie auch psychisch, davon hatt ich zu diesem Zeitpunkt noch keine Ahnung...
Ich dachte, ich wäre gut vorbereitet. Ich hab mir extra vorher noch einen Satz Soft-Darts besorgt (trainiere daheim mit Steel-Darts). Mental war ich auf ein mögliches Totalversagen eingestellt und ein Mischung aus Neugier und Mir-doch-egal-Einstellung kann nicht so verkehrt sein, dachte ich. Und ich habe mir erstmal vorgenommen, nichts zu trinken, habe aber auch den Fall eingeplant, dass ich entweder selber schwach werden würde oder in eine Situation kommen würde, wo Abstinenz als unhöflich aufgefasst würde. Da es zum Nachbardorf nur 3-4km waren, hätte ich das Auto zur Not auch stehen lassen können um heim zu laufen. Ich bin eine halbe Stunde vor offiziellem Start angekommen. Beim anmelden und bezahlen des Startgeldes habe ich eine kurze Einweisung bekommen, und bin dann erstmal etwas nervös geworden. Der Raum war schon brechend voll und die Spieler fleissig am Einspielen. Ich rechnete kurz hoch, dass bei über 30 Teilnehmern und nur 4 Automaten es entweder ein sehr hektischer oder ein sehr langer Abend werden würde. Bei dem Tempo mit dem die Pfeile geworfen wurden, würde eher die erste Option zutreffen, und ich hatte Angst, dass ich wie der Volldepp dastehen würde, wenn ich länger überlegen muss. Es wurde Masters-Out gespielt, wovon ich Null Plan hatte, und die Automaten zeigen anscheinend nur beim letzten Dart Finish-Vorschläge an.
Es stellte sich aber bald heraus, dass das mein geringstes Problem sein sollte. Da das Leg beendet ist, sobald der erste ausmacht, brauchte ich mir keine Sorgen machen, jemals über Finish-Wege nachdenken zu müssen. Beim Auslosen und 4-5 Spielern pro Automat ist natürlich statistisch immer mindestens einer dabei, der richtig, richtig gut ist. Es hat sich dann herausgestellt, dass es noch einen Nebenraum mit nochmal 2 Automaten gibt. Allerdings kamen auch noch ein paar mehr Leute, so dass das Verhältnis von letztendlich knapp 50 Teilnehmern und 6 Automaten auch nicht viel besser war.
Ich hab mich erstmal etwas entspannt und mir in Ruhe die Leute angesehen. Viele der Anwesenden hatten wirklich starke Ähnlichkeit mit den bekannten Profi-Spielern. Vertreten waren Spieler mit beachtlichem Bierbauch, tätowierte Rocker, vollbärtige Hipster und auch einige MvG-Prototypen waren anwesend, zumindest was die Frisur betraf. Und auch ein anderes Klischee wurde bestätigt. Die Bedienung war pausenlos damit beschäftigt, Wagenrad-große Tabletts mit Bier, Jacky-Cola und allerlei hochprozentigem richtung Spielfeld zu tragen, und das vorherrschende Gesprächsthema waren Bestellungen und wer wem einen ausgeben musste. Das kann ja heiter werden...
Die ersten Spiele liefen dann wider Erwarten erstaunlich gut. Ich spielte zwar selbst für meine bescheidenen Verhältnisse eher schlecht und traf nur selten und eher zufällig. Aber so einfache Dinge, wie dass 29 halt mehr als 26 sind, haben mir mehr als einmal den Arsch gerettet. Und so gelang es mir mit Mühe und Not, mich vier Runden über Wasser zu halten, ohne einen einzigen Kratzer zu kassieren. Einmal hatte ich sogar die Chance gehabt, ausmachen zu können (Finish-Bereich fängt bei mir bei max. 60 an ), hab's aber natürlich versemmelt, weil mir ganz plötzlich die Pumpe ging.
Leider war die Turnierleitung (der Wirt) mit Ihrer Aufgabe, die knappe Resource „freie Automaten“ möglichst ohne Verzögerung wartenden Spielern zuzuorden, etwas überfordert. Unverständlicherweise wurde immer gewartet, bis alle Teams komplett fertig waren, bevor eine neue Runde ausgelost wurde. Und irgenwo kam es immer wieder vor, dass jemand 5 Aufnamen lang die double-1 nicht traf. Das führte zu unnötigen Verzögerungen, so dass die Säufer beschlossen, verstärkt von der reichlich vorhandenen Resource „Alkohol“ gebrauch zu machen. Die besseren Spieler haben sich auch gelangweilt, und angefangen, Round-the-clock oder Bulls-eye zu trainieren. Das wiederum führte zu weiteren Verzögerungen durch Diskussionen, weil eigentlich freie Automaten nicht mehr als solche zu erkennen waren.
Bei mir machte sich inzwischen ein zusätzliches Problem bemerkbar. Es gab praktisch keine funktionierende Lüftung. Fenster durften nicht geöffnet werden, weil die Spieler sofort protestierten, ein Luftzug könnte die Flugbahn ihrer Pfeile stören. Selbst ohne den reichlich vorhandenen Zigarettenrauch hat allein wegen der dicht gedrängten Menschenmenge der Sauerstoffgehalt irgendwann einen lebensbedrohlich niedrigen Wert angenommen. Mir schmerzte der Rücken vom langen stehen. Die Stimmung wurde nicht nur bei mir immer schlechter. Ständig wurde man von irgendwo angerempelt. Obwohl schon zahlreiche Spieler ausgeschieden waren, wurde der Raum nur unmerklich leerer. Wahrscheilich waren die Ausgeschiedenen die im Darts weniger fitten „Taxifahrer“ der besseren Spieler, die jetzt zur Untätigkeit verdonnert waren.
Nicht gewundert habe ich mich dann über eine beinahe-Bierdusche. Ein stark angeheiterter Kollege hatte wohl das Gleichgwicht verloren, und beim Umfallen den halben Tisch mit vollen Gläsern abgeräumt. Ich konnte nur knapp ausweichen. Obwohl durch notdürftiges Aufwischen etwas verdünnt, erwies sich eingetrocknetes Bier vermischt mit Jacky-Cola als ausgesprochen starker Kleber. An der Decke tanzen wie bei Pippi Langstrumpf konnte man zwar nicht, aber man konnte sich am Oche gefühlt 45° nach vorne beugen, ohne umzufallen.
Mehr getroffen habe ich dadurch aber nicht, eher weniger. In Runde 5 bis 7 musste ich mit zunehmender Erschöpfung kämpfen. Meine Augen brannten von der schlechten Luft so stark, dass ich das Board nur noch verschwommen gesehen habe, und froh sein konnte, überhaupt noch die Scheibe zu treffen. Ich kassierte deshalb gleich drei Kratzer hintereinander. Ich hatte offensichtlich ein starkes Defizit in Sachen Alkohol- und Rauchtoleranz. Den anderen Spielern schien das anscheinend nichts auszumachen. Als „Amateur“ hatte ich aber noch einen „Idiotenbonus“, während nämlich Vereinsspieler nach 3 Kratzern ausschieden, durften Amateure einen mehr kassieren. Habe dann aber gemerkt, dass es keine gute Idee war, den Bonus auch auszunutzen.
Als ich kurz davor war, den verbitterten Kampf gegen den Schlaf zu verlieren, wurde das monotone „poc, poc, poc“ der einschlagenden Darts plötzlich von einem auffallend lauterem Rumpeln unterbrochen. Ich bekam nur im Augenwinkel mit, wie ein Spieler quer durch den Raum angeflogen kam, und mit dem Kopf am Sockel eines Automaten einschlug. Mein nur noch in Zeitlupe arbeitendes Gehirn versuchte, das eben wahrgenommene einzuordnen. Meine erste Vermutung war, dass mal wieder einer zu tief ins Glas geschaut hat, und haltlos umhergetorkelt ist. Dafür war aber die „Fluggeschwindigkeit“ eindeutig zu hoch. Die nächste Theorie war, dass es wieder jemand langweilig geworden war, und die Bodybuilder-Fraktion mit den leichteren Teilnehmern Zwergen-Weitwurf übte. Das war aber dann wohl doch zu unrealistisch.
(immerhin hab ich hier einen zur Situation passenden Smiley gefunden, scheint also doch nicht so abwegig zu sein )
Die Auflösung des Rätsels folgte, als sich das „Wurfgeschoss“ trotz heftig blutendem Gesicht wieder aufrappelte, und wutentbrannt auf einen anderen Spieler losging. War irgendwie eigentlich vorhersehbar. Viel Alkohol + gereizte Stimmung + ständiges angerempelt-werden = Überraschung... Schlägerei!
Der Großteil der besoffenen Meute teilte sich in zwei Lager, die jeweils einen der Kontrahenten festhielt und so immerhin schlimmeres verhinderte. Zu meiner Überraschung machte der Wirt keine Anstalten, die Schläger auf die Straße zu setzen. Er versuchte nur, die Sache herunterzuspielen, und die Leute zum Bleiben und Weiterspielen zu überreden. Entweder hatte er Angst, seine „besten“ Kunden zu verlieren, oder das ist dort so normal, dass es einfach hingenommen wird. Es kam dann noch mehrfach zu hitzigen Diskussionen, üblen Beschimpfungen und Handgreiflichkeiten, auch zwischen anderen Spielern.
Obwohl meine körperliche Verfassung etwas von dem Adrenalinschub profitierte – ich war tatsächlich wieder etwas wacher und traf sogar noch ein paar Triple – war jetzt der absolute Motivations-Tiefpunkt erreicht. Nach der 8. Runde hatte ich endgültig die Schnauze voll und brach die Sache ab, meldete mich ab, zahlte und ging heim. Und ich hab ehrlich gesagt auch überhaupt keine Lust, sowas in absehbarer Zeit nochmal zu wiederholen.
Ich will jetzt kein Moralapostel sein. Ich trinke gerne auch mal ein Bierchen und gönne anderen auch ihren Spass. Aber irgendwo gibt’s auch Grenzen. Jetzt versteh ich auch den Spruch auf einem der T-Shirts: „Nur die harten gehen zum Darten“. Ich vertrage halt zu wenig. Mein persönlicher Wohlfühl-Pegel liegt so bei einem Bier, mit zweien bin ich schon relativ angeheitert, und mit dreien wahrscheinlich nicht mehr vernünftig spielen. Ich habe kein Problem damit, wenn der Wohlfühlpegel bei jemand anders deutlich höher liegt. Aber spätestens, wenn sich jemand nicht mehr im Griff hat und aggressiv wird, dann hört der Spaß definitiv auf. Das hat mit Sport dann einfach nichts mehr zu tun.
Ich weiss jetzt ehrlich gesagt nicht, wie’s weitergeht. Ganz aufgeben möchte ich eigentlich nicht. Ich hoffe mal, ich hatte nur Pech, und vielleicht findet sich ja noch ein Ort, wo’s nicht ganz so exzessiv zugeht.
(PS: ich wusste jetzt nicht, ob das Thema eher zu „Darts-Riten“, „Dartssport & Gesundheit“ oder zum Thema „Turniere“ passt, ist von allem was dabei)