Hallo,
ich möchte mich erst kurz vorstellen, damit vielleicht klarer wird, aus welcher Sicht meine Eindrücke entstanden sind. Ich bin +50 Jahre alt, männlich und festangestellter Wissenschaftler und Dozent an einer Uni. Zum Darts bin ich vor etwas mehr als einem Jahr gekommen, als mein damals 10-jähriger Sohn beim Zappen bei Sport1 bei der Darts-WM hängen geblieben ist. Auch bestärkt durch den Hype um Fallon Sherrock bin ich seitdem dabei geblieben. Seit jenem Weihnachten haben wir auch ein Supermarkt-eDart-Board zu Hause, auf dem ich regelmäßig spiele, aber nur gegen die Familie oder gegen einen Computer. Mein Average ist so bei 35, meine Doppelquote irgendwo zwischen 10 und 15 %.
Ich habe kein Pay-TV, verfolge Darts also nur über Sport1, neuerdings auch gelegentlich über Dartconnect. Ich höre die Podcasts Shortleg, Game on und 26Darts. Meine andere Wissensquelle ist dieses Forum hier. Mit Darts als Vereinssport hatte ich noch überhaupt keine Berührung.
Ich möchte hier einige "Darts-Wahrheiten" auflisten, von denen man häufiger liest/hört und die ich entweder bezweifle oder wo ich noch nicht genug weiß, um sie zu akzeptieren. Ich hoffe, dass dieses Thema vielleicht auch den einen oder anderen interessiert und es zu interessanten Diskussionen kommt.
1. Es gibt keinen optimalen Stand/Griff/Wurf
Scheint ja auch offensichtlich zu sein. Bei den Top-Spielern sieht man sehr viel Unterschiedliches und während das meiste auch halbwegs 'normal' aussieht, gibt es auch einige mehr exotische Sachen, z.B. die sehr angestrengt wirkende Position eines Benito van der Pas, die "elegante" Armbewegung eines Justin Pipe, die 'scannende' Armbewegung von Mikuru Suzuki, die Hüpfer von Mensur Suljović etc. Ich glaube aber, dass es sich bei diesen Leuten grundsätzlich um sehr talentierte Spieler handelt, die nicht unbedingt das Maß für den Durchschnitts-Dartspieler sein sollten (und die vielleicht sogar noch besser wären, wenn sie etwas ändern würden?).
Auch hier im Forum (und in vielen Dart-Videos) wird oft der Rat erteilt, sich so zu stellen/den Dart so zu greifen/etc. wie es sich für einen gut anfühlt. Mal ein etwas hinkender Vergleich: Ich esse am liebsten Pommes-Currywurst, aber gesund ist das nicht. Will sagen: Was für mich einfach/bequem ist, muss ja nicht das optimale für den Dartwurf sein.
Ich glaube, dass es schon so etwas wie einen optimalen Stand/Griff/Wurf gibt, das mag auch jeweils unterschiedliche je nach Körperbau sein, auch abhängig vom Dart, aber nicht dadurch, ob es für mich 'bequem' ist. Wie sehen das denn die Trainer?
2. Frauen können genauso gut Dart spielen wie Männer (oder auch nicht)
Oh, heikles Thema. Vorab, ich war begeistert von Fallon Sherrock bei der WM 2020. Aber bei der PDC gibt es nur eine Frau mit Tourkarte und TV-Siege von Frauen gegen Männer sieht man sehr selten. Toller Auftritt von Lisa Ashton und Mikuru Suzuki beim Grand Slam of Darts 2020, aber gewonnen haben sie kein Spiel.
Also, entweder ist Darts ein Sport, bei dem Männer und Frauen die gleichen körperlichen/mentalen Voraussetzungen haben und dann sind es nur soziale Gründe, warum es so wenige Frauen unter den Top-Spielern gibt. Aber sollte es dann nicht trotzdem 10 - 20 Frauen auf der Tour geben, vielleicht auch eine unter den Top 32?
Man kann aber auch von der anderen Seite gucken: Es gibt nur eine Frau mit PDC-Tourkarte (auf Platz 78 der Order of Merit). Wenn man davon ausgeht, dass es auch einige Frauen gibt, die bereit sind, alles dem Darts unterzuordnen (genauso wie viele Tourkartenhalter eben nicht bereit sind, das zu tun), warum gibt es dann so wenige Frauen in der Spitze? Also, gibt es doch geschlechterspezifische Unterschiede? Ich finde, hier sollte man mal versuchen, sachlich nach den Gründen zu suchen. Wie sieht das z.B. im Jugendbereich aus? Ändert sich das mit dem Alter?
3. Darts kann man im jeden Alter hochklassig spielen
Wird auch damit begründet, dass es keine großen körperlichen Voraussetzungen für das Dartspielen gibt. Also, mich plagt seit einigen Jahren die Weitsichtigkeit und mit dem Alter nimmt z.B. auch die Sensibilität in den Fingern ab, generell auch die Feinmotorik. Das soll keinen Einfluss auf meine Treffgenauigkeit haben? Ja, es gibt Brillen und Kontaktlinsen, trotzdem gibt es nur wenige Top-Spieler, die weit jenseits der 50 sind, oder? (Ja, ich kenne Paul Lim. Und sonst?)
4. Es gibt einen optimalen Checkoutweg für alle Spieler
Jeder kennt die Tabellen/Poster/Teppiche mit den üblichen Checkoutwegen. Gewisse Alternativen werden akzeptiert, aber generell soll man doch bitte so oder so spielen. Auch ein Anfänger soll schon früh anfangen, diese Wege zu lernen.
Hier habe ich eine ziemlich klare Meinung: Der optimale Finishweg (optimal im mathematischen Sinne, also der Weg, mit der für mich höchsten Wahrscheinlichkeit, das Spiel zu gewinnen) ist sehr stark davon abhängig, wie gut ich das anvisierte Ziel treffe. Finishwege werden ja oft wie folgt erklärt: "geh auf T19, wenn du nur S19 triffst, kannst du immer noch über ....ausmachen". Aber wenn ich auf T19 gehe, treffe ich mit hoher Wahrscheinlichkeit noch nicht einmal die S19, sondern eher die S7 oder S3 (oder die S16 und stehe immer noch ungerade). Für mich müssen Finishwege anders aussehen, wenn sie optimal sein sollen. Zusätzlich gilt auch, dass mein Trefferbild über das gesamte Board nicht gleichmäßig ist. Vielleicht treffe ich bestimmte Doppel besser, also muss ein optimaler Finishweg doch sehr individuell sein.
Finishwege müssen auch abhängig davon sein, wo der Gegner steht und wie gut der Gegner spielt. Beim Finish darf man nicht nur darauf schauen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass das Finish funktioniert, sondern auch, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, das Spiel noch zu gewinnen, wenn das Finish nicht gelingt.
Mir ist bewusst, dass ich von einer gewissen Warte auf die Sache schaue (s. oben), vielleicht werden von anderen Stellen (z.B. Vereinsdart/Trainer) diese "Dartswarheiten" ja auch ganz anders gesehen und bewertet, als ich sie hier so plakativ darstelle.